Wie gesund sind unsere Nutztiere?
Studien belegen: Die Art und Weise, wie wir Nutztiere halten, ist häufig ein Faktor dafür, dass Tiere krank werden und Schmerzen und Schäden erleiden.
Im Jahr 2015 hat der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Gutachten über den Zustand der Nutztierhaltung herausgebracht, das hierzulande für viel Diskussionsstoff sorgte. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren darin unter anderem, dass die intensive Tierhaltung, wie sie in Deutschland heute weit verbreitet ist, "eine Vielzahl von Tierschutzproblemen" verursache. Dabei würde es sich, so der WBA, meist um "multifaktoriell bedingte Schäden, Erkrankungen oder Verhaltensstörungen" handeln.
Im Klartext meinen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit: Wie wir Nutztiere heute halten, betreuen und füttern, wie wir sie züchten, und wie wir ihnen Leistungen abverlangen – alles das hat bedeutenden Einfluss auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden. In zahlreichen Bereichen überfordern diese Bedingungen die Anpassungsfähigkeit der Tiere, weswegen der WBA "die derzeitigen Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztiere für nicht mehr zukunftsfähig" hält.
Der WBA-Bericht 2015 war der erste und einzige umfassende Bericht über den Zustand der Nutztierhaltung in Deutschland und ist es heute noch. Dass das so ist, liegt daran, dass es bislang an einer objektiven und umfassenden Berichterstattung über den Status quo und die Entwicklung der Tiergesundheit und des Tierwohls in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung fehlt. Zwar werden immer wieder Daten zu einzelnen Aspekten der Tiergesundheit und des Tierwohls erhoben. Diese ergeben aber kein vollständiges Bild, weil nur bestimmte Tierarten und Produktionsrichtungen erfasst werden.
Um diesem Problem zu begegnen, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) daher 2019 das Projekt "Nationales Tierwohl-Monitoring" (NaTiMon) auf den Weg gebracht. Expertinnen und Experten verschiedenster Fachbereiche haben darin über fünf Jahre Methoden entwickelt, wie Tiergesundheit und Tierwohl flächendeckend gemessen, beurteilt und in geeigneter Weise auf nationaler Ebene dargestellt werden kann. Die Projektbeteiligten haben die Ergebnisse im Juni 2023 an das BMEL übergeben, dass nun darüber berät, wie man diese Methoden zukünftig bestmöglich einsetzen kann.
Wie steht es um die Gesundheit von Nutztieren in Deutschland?
Die bislang vorliegenden Daten zu Mortalitäten [Sterblichkeiten], Erkrankungsraten und Behandlungsfrequenzen aus Einzelstudien deuten laut WBA darauf hin, "dass auf den Betrieben im Durchschnitt eher unbefriedigende Situationen im Hinblick auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Nutztieren vorherrschen".
Einige Ergebnisse dieser im WBA-Bericht aufgeführten Untersuchungen sowie Studien neueren Datums werden im Folgenden – beispielhaft für die in Deutschland bedeutsamen Bereiche Schweine- und Milchkuhhaltung – dargestellt, um einen zahlenmäßigen Eindruck zu vermitteln, wie häufig Krankheiten bei Nutztieren auftreten.
Schweine
Bei Schweinen sorgte im Jahr 2017 eine Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) für Aufsehen in der Landwirtschaft. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten darin Hunderte toter Schweine aus sechs Bundesländern, die wegen Krankheit bereits getötet und zur Entsorgung in die Tierkörperbeseitigung verbracht worden waren.
Etwa 13 Prozent aller untersuchten Schweine (Mast- und Zuchtschweine) zeigten Anzeichen, die darauf hinwiesen, dass diese Tiere vor ihrem Tod unnötige Schmerzen und langanhaltende Leiden erdulden mussten. Weiterhin wies die TiHo in ihrer Studie nach, dass mehr als 60 Prozent der notgetöteten Schweine fehlerhaft notgetötet wurden. Hier wurde also laut TiHo in vielen Fällen gegen geltendes Tierschutzrecht verstoßen.
Neben der Untersuchung einzelner Tiere richteten die Autorinnen und Autoren ihr Augenmerk auch auf die Zahl der insgesamt in die Tierkörperbeseitigung verbrachten Schweine. Nach ihrer Einschätzung erreichen viele Tiere den Schlachthof nicht, weil sie krank sind oder körperliche Schäden aufweisen. Sie verenden auf den Betrieben oder werden notgetötet.
Auch bei vorhergehenden Untersuchungen der TiHo Hannover aus dem Jahr 2014 an Körpern von rund 11.000 in Schlachthöfen geschlachteten Schweinen und Rindern fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei etwa 75 Prozent der untersuchten Schweine krankhaft veränderte Lungen. Bei 59 Prozent der Schweine wurden auffällige Hautverletzungen gefunden.
Eine Untersuchung der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München aus dem Jahr 2016, ergab, dass mehr als 90 Prozent der knapp 1.000 untersuchten Schweine aus konventioneller Haltung sogenannte Bursen (Hilfsschleimbeutel) an den Gliedmaßen entwickelten. Bursen sind schmerzhafte chronische Entzündungen der Gelenke, für deren Entstehung unter anderem Spaltenböden ohne Einstreu verantwortlich gemacht werden.
Die festgestellten Krankheiten bringen für die betroffenen Tiere nicht nur Leid mit sich, sie verringern auch ihre Lebenszeit. Sauen werden laut einer Untersuchung der Landesanstalt für Schweinezucht Boxberg aus dem Jahr 2013 im Durchschnitt kaum mehr als zwei Jahre alt. Die natürliche Lebenserwartung von Schweinen liegt bei etwa acht bis zehn Jahren.
Gründe für das vorzeitige Schlachten der Tiere sind – neben Fruchtbarkeitsstörungen und mangelnder Leistung – vor allem Probleme am Gesäuge sowie an Klauen und Gelenken. 30 Prozent der Sauen werden sogar schon vor dem ersten Wurf, also innerhalb ihres ersten Lebensjahres, aufgrund von Gelenk- und Klauenproblemen geschlachtet oder getötet.
Milchkühe
Auch bei Milchkühen ist die durchschnittliche Lebenszeit deutlich geringer als sonst bei Rindern zu erwarten: Wie aus dem Jahresbericht 2019 des Bundesverbands Rind und Schwein (BRS) hervorgeht, werden Milchkühe heute durchschnittlich nur etwa drei Jahre gemolken und gehen bereits mit 5,4 Jahren zum Schlachter – bei einer natürlichen Lebenserwartung von 15 bis 20 Jahren. Bei knapp zwei Dritteln der deutschen Milchkühe werden neben Fruchtbarkeitsstörungen vor allem Krankheiten als Gründe für die vorzeitige Schlachtung angegeben.
Besonders häufig treten bei Milchkühen Eutererkrankungen auf. Dabei handelt es sich quasi um eine "Berufskrankheit" der auf hohe Milchleistungen gezüchteten Tiere. Aber auch Erkrankungen an den Klauen und Gliedmaßen sind ein Problem: Die Klauen der Rinder sind für das Laufen auf weichen Weideböden gemacht, aber nicht für harten Beton im Stall.
Wie häufig solche Krankheiten in der Milchkuhhaltung auftreten, zeigt unter anderem die 2020 veröffentlichte und viel beachtete PraeRi-Studie. Bei dieser Studie wurden Daten zur Tiergesundheit von insgesamt 765 Betrieben in drei Regionen Deutschlands mit intensiver Milchkuhhaltung erhoben. Sie ergab, dass je nach Region zwischen 23 und 39 Prozent der untersuchten Kühe an sogenannten Lahmheiten erkranken. Darunter werden verschiedene schmerzhafte Erkrankungen der Klauen gefasst, die dazu führen können, dass die Kühe humpeln und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind.
Euterentzündungen wurden in der PraeRi-Studie bei 21 bis 27 Prozent der Kühe festgestellt. Eine ältere Untersuchung an über 25.000 Kühen aus Brandenburg aus dem Jahr 2013 ergab, dass 31 Prozent der untersuchten Milchkühe Fruchtbarkeitsstörungen hatten.
In anderen Studien wurde untersucht, wie hoch die Sterblichkeit bei Milchviehkälbern ist – das heißt, wie viele Kälber vorzeitig sterben. Die Ergebnisse: In Bayern kam man auf 14 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern auf neun Prozent. Ein Großteil der Verluste geht nach Angaben der Autoren auf unzureichende Managementmaßnahmen zurück – etwa Fehler in der Ernährung und Haltung.
Die Ursachen sind vielfältig
Die Gesundheit der Tiere ist nicht allein von den Haltungsbedingungen abhängig. Anschaulich wird dies vor allem am Beispiel der ökologischen Nutztierhaltung. Immer wieder zeigen Untersuchungen, dass es den ökologisch wirtschaftenden Betrieben trotz deutlich besserer Haltungsbedingungen im Mittel der Betriebe nicht gelungen ist, die Rate der sogenannten Produktionskrankheiten gegenüber der konventionellen Landwirtschaft merklich zu senken.
Auch die Größe der Tierhaltungen hat – anders als in der Öffentlichkeit häufig angenommen wird – keinen oder nur einen sehr geringen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Nutztieren. So belegen zahlreiche Untersuchungen, dass es Tierschutzprobleme auf großen wie kleinen Betrieben gibt und diese nur in den wenigsten Fällen an der Größe der Tierhaltung festgemacht werden können.
Bandbreite zwischen den Betrieben ist groß
Außerdem: Egal ob ökologisch oder konventionell, groß oder klein: Was bei den Untersuchungen zur Gesundheit in der Tierhaltung immer wieder auffällt, ist die große Bandbreite der Ergebnisse. Von Betrieb zu Betrieb gibt es teils große Unterschiede und der Grad der Gesundheit und des Wohlbefindens der Tiere variiert. Expertinnen und Experten leiten daraus ab, dass es vor allem auf das Management ankommt: also darauf, wie die Tierhalterinnen und Tierhalter im Einzelnen mit den Tieren umgehen und sie betreuen.
Was kann getan werden, um die Situation zu verbessern?
Eine gute Ausbildung, Sachkunde und regelmäßige Fortbildungen bezüglich tierschutzrelevanter Aspekte für alle berufsmäßig mit Nutztieren arbeitenden Personen sind wichtige Ansatzpunkte für eine nachhaltige Verbesserung. Das Einzeltier muss wieder stärker in den Blick genommen werden. Denn durch eine intensivere Tierbeobachtung können Alarmsignale früh erkannt werden.
Auch die Züchtung kann einen stärkeren Beitrag zu einem besseren Wohlergehen der Tiere leisten – nicht zuletzt, indem sie sich von Zuchtzielen verabschiedet, die mit dem Tierwohl schwer vereinbar sind.
Zudem sind Verbesserungen an den Haltungsbedingungen nötig, damit die Tiere zum Beispiel mehr Platz erhalten, ihren arteigenen Bedürfnissen besser nachgehen können und vor Schadgasen geschützt werden. Auch der Um- bzw. Neubau von Ställen spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, ein der Tiergesundheit förderliches Umfeld zu schaffen.
Inzwischen erreichte Verbesserungen
Seit Erscheinen des WBA-Berichts 2015 wurde bereits eine Reihe von Maßnahmen zur Beseitigung der festgestellten Missstände in der Tierhaltung getroffen. So ist zum Beispiel seit 2021 die betäubungslose Ferkelkastration nicht mehr erlaubt, seit Anfang 2022 ist auch das Töten männlicher Küken verboten. Anfang 2021 wurde außerdem die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung dahingehend geändert, dass die Haltung von Sauen in sogenannten Kastenständen im Deckzentrum – nach einer Übergangsfrist von acht Jahren – nicht mehr zulässig ist. Im Abferkelbereich wurde die zulässige Dauer der Fixierung in Kastenständen zudem deutlich eingeschränkt – nach einer Übergangszeit von 15 Jahren.
Des Weiteren laufen zahlreiche Forschungsprojekte, in denen nach Lösungen gesucht wird, wie man das Tierwohl in Deutschland verbessern kann, unter anderem in den Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz. Dennoch gibt es erheblichen weiteren Handlungsbedarf.
Letzte Aktualisierung: 9. August 2023
Weitere Informationen
Bundesverband Rind und Schwein (BRS): Rinder- und Schweineproduktion in Deutschland
Nationales Tierwohl-Monitoring (NaTiMon)