Tierschutz in der Landwirtschaft: Wie unterschiedlich sind die Standards in Europa?
Einige Länder in Europa gehen über die allgemeinen Tierschutz-Anforderungen der EU hinaus und sorgen damit für mehr Tierwohl in der Landwirtschaft.
In der Europäischen Union gibt es gesetzliche Regelungen zum Tierschutz, die für alle Mitgliedsstaaten Gültigkeit haben. Geregelt werden darin unter anderem die Haltung, der Transport und die Schlachtung von Nutztieren. Für Schweine, Kälber und Hühner gibt es einige tierspezifische Anforderungen, für Mastrinder, Milchkühe und Puten existieren diese nicht.
EU arbeitet an Verschärfung des Tierschutzrechts
Seit Jahren kritisieren Tierschutzorganisationen und Forschende das Tierschutzrecht der EU als unzureichend und fordern umfassende Reformen. Als Reaktion darauf versprach die EU im Rahmen ihrer Farm-to-Fork-Strategie, den rechtlichen Rahmen für den Tierschutz bis 2023 grundlegend zu überarbeiten. Bisher wurde jedoch nur ein Teilaspekt des Tierschutzpakets – der Transport von Tieren – neu geregelt.
Die EU-Tierschutzregelungen sind ein Basisstandard, der ein Mindestmaß an Tierwohl gewährleisten soll. Tierschutzorganisationen und Forschende kritisieren jedoch, dass der aktuelle Rechtsrahmen dieses Mindestmaß nur begrenzt garantiert (siehe Infokasten).
Den Mitgliedsstaaten steht es frei die EU-Tierschutzregelungen durch strengere, nationale Vorschriften zu ergänzen.
Nur wenige Länder mit höheren Tierschutzstandards
Wie eine 2022 von der EU durchgeführte Untersuchung zeigt, belassen es die meisten EU-Länder bei den EU-Mindeststandards. Es gibt jedoch einige wenige Staaten, in denen strengere Regelungen – sei es durch staatliche Verordnungen oder durch freiwillige Selbstverpflichtungen der Nutztierbranche – gelten. Dies sind neben Deutschland noch Dänemark, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Schweden. Daneben gibt es mit der Schweiz, Großbritannien und Norwegen noch drei weitere Nicht-EU-Staaten mit höheren Tierschutzstandards.
Im Folgenden zeigen wir anhand einiger Bereiche aus der Nutztierhaltung beispielhaft auf, was diese Länder anders machen.
Käfighaltung von Legehennen
Die klassische Käfighaltung von Legehennen ist in der EU seit 2012 verboten. Nach wie vor dürfen Legehennen nach EU-Recht jedoch in sogenannten ausgestalteten Käfigen gehalten werden. Die Tiere werden darin in Gruppen in mehreren Etagen übereinander gehalten.
Käfighaltung weltweit
Nach Schätzungen von Marktinfo Eier und Geflügel (MEGH) aus dem Jahr 2023 leben weltweit rund 84 Prozent aller Legehennen in konventionellen oder ausgestalteten Käfigen.
Aus Ländern mit konventioneller Käfighaltung (wie die Ukraine) werden Eier auch nach Deutschland importiert.
Der Platz pro Henne ist mit mindestens 750 Quadratzentimeter (etwas mehr als ein Din A4-Blatt) etwas größer als in den klassischen Käfigen (550 Quadratzentimeter). Außerdem müssen Nester, Einstreu und Sitzstangen vorhanden sein.
Tierschützerinnen und Tierschützer sind sich einig, dass ein artgerechtes Verhalten auch in solchen ausgestalteten Käfigen nicht möglich ist.
Aktuell werden europaweit rund 41 Prozent aller Legehennen in ausgestalteten Käfigen gehalten. In einigen Ländern liegt der Anteil sogar noch weit darüber. So werden zum Beispiel in Polen und Griechenland drei Viertel aller Legehennen in ausgestalteten Käfigen gehalten, in Spanien, Portugal, Ungarn sind es mehr als zwei Drittel.
In Deutschland leben aktuell noch vier Prozent aller Legehennen in ausgestalteten Käfigen. Diese Haltungsform ist hierzulande seit 2016 nicht mehr zulässig, für bestehende Einrichtungen gilt allerdings eine Auslauffrist bis Ende 2025. In Österreich, Dänemark und Luxemburg ist jegliche Form von Käfighaltung bereits seit einigen Jahren verboten, in der Schweiz bereits seit über 30 Jahren.
Nachdem die Bürgerinitiative "End the Cage Age" 2019 eine Petition mit 1,4 Millionen Unterschriften eingereicht hatte, kündigte die EU-Kommission an, bis Ende 2023 einen Legislativvorschlag zum Ausstieg aus der Käfighaltung zu erarbeiten, der für alle EU-Mitgliedsstaaten Gültigkeit hat. Dieses Vorhaben konnte bislang jedoch nicht umgesetzt werden und ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Kükentöten
Ein weiterer Bereich, in dem es europaweit sehr unterschiedliche Regelungen gibt, ist das Kükentöten. In den 1950er-Jahren begann man in Europa damit, Hühner nach speziellen Nutzungszwecken zu züchten: Legehennen zur Eierproduktion und Masthühner für die Fleischproduktion. Da männliche Küken der Legehennenrassen weder Eier legen noch wirtschaftlich für die Mast genutzt werden können, werden sie häufig nach dem Schlupf getötet. In der EU wird das Kükentöten noch in zahlreichen Ländern praktiziert – jährlich bei rund 330 Millionen männlichen Küken.
Deutschland hat diese Praxis 2022 als weltweit erstes Land verboten, kurz darauf folgte Frankreich. Italien will ein Verbot bis 2026 umsetzen. Österreich hat es so geregelt, dass alle männlichen Küken, die nicht in Zoos oder Greifvogelstationen verfüttert werden als Bruderhahn aufgezogen werden müssen. Auch die EU erwägt ein Verbot des Kükentötens für ihre Mitgliedsstaaten. Bislang liegen aber noch keine konkreten Vorschläge dazu vor.
Betäubungslose Ferkelkastration
Die betäubungslose Kastration von männlichen Ferkeln ist in den meisten Ländern Europas gängige Praxis – zum Teil sogar ohne Schmerzausschaltung durch Schmerzmittel. Der Grund: Bei einem geringen Teil des Jungeberfleisches kann es beim Erhitzen zu einem sehr unangenehmen Geruch kommen – dem "Ebergeruch". Er sorgt dafür, dass das Fleisch nur schwer oder gar nicht verkäuflich ist. Kastriert man männliche Ferkel, wachsen sie nicht zu Ebern heran, sondern bleiben sogenannte "Börge".
In Deutschland wurde die betäubungslose Ferkelkastration 2021 verboten. Ein solches Verbot gibt es in Europa sonst noch in der Schweiz, in Norwegen, Schweden, Dänemark und Frankreich.
In Ländern wie Großbritannien, Irland, Spanien, Portugal oder Niederlande wird großteils auf die Kastration verzichtet. Dort werden – teils schon seit vielen Jahren – Eber gemästet. In Spanien und Portugal zum Beispiel stellt sich das Problem des Ebergeruchs gar nicht, weil die Tiere deutlich früher geschlachtet werden als hierzulande – also noch bevor sich der bei einigen Konsumenten als unangenehm wahrgenommene Ebergeruch überhaupt entwickeln kann. Zum Teil werden in diesen Ländern aber auch Zuchtlinien verwendet, die langsamer in die Geschlechtsreife kommen oder einen weniger starken Ebergeruch entwickeln.
Anbindehaltung von Rindern
Die Anbindehaltung von Rindern nimmt zwar von Jahr zu Jahr ab, ist aber in Deutschland und anderen europäischen Ländern nach wie vor existent. Neben der ganzjährigen Anbindehaltung, bei der die Tiere das ganze Jahr über im Stall stehen, gibt es die teilweise Anbindehaltung: Hier gehen die Tiere von Frühjahr bis Herbst auf die Weide.
Während der Anteil an angebundenen Kühen in Deutschland mit 10 Prozent eher niedrig ist, liegt er in Frankreich und Italien mit 30 bis 40 Prozent deutlich höher, in Norwegen sind es sogar noch über 50 Prozent.
In der Schweiz, Schweden und Österreich ist die ganzjährige Anbindehaltung inzwischen verboten. In Dänemark und Deutschland ist man derzeit dabei, eine solche Regelung umzusetzen. Die teilweise Anbindehaltung, bei der die Tiere einen Teil des Jahres auf die Weide gelassen werden müssen, wird aber als Alternative bestehen bleiben.
Letzte Aktualisierung: 13. November 2024
Weitere Informationen
Rethinkpriorities.org: Do countries comply with EU animal welfare laws?, 2020