Reizwort "Massentierhaltung"
Das Reizwort "Massentierhaltung" prägt viele Debatten. Was ist damit genau gemeint? Und hat die Betriebsgröße tatsächlich Einfluss aufs Tierwohl?
Die Nutztierhaltung ist in den letzten Jahren immer mehr in die gesellschaftliche Kritik geraten. Sehr häufig fokussiert sich die Diskussion dabei auf landwirtschaftliche Großbetriebe mit vielen Tieren. In diesem Zusammenhang wird nicht selten der Begriff "Massentierhaltung" verwendet.
Aus Sicht der Kritikerinnen und Kritiker sind es vor allem solche "Massentierhaltungen", die für das mangelnde Tierwohl und die zu beklagende Tiergesundheit verantwortlich sind. Kleine Tierhaltungsbetriebe stehen dagegen in den Augen vieler für eine "bäuerliche Landwirtschaft", die sich mehr um das Wohl der Tiere sorgt.
Aber was verbirgt sich hinter dem Begriff "Massentierhaltung" überhaupt und wie steht es tatsächlich um die Behauptung, große Tierhaltungsbetriebe seien weniger tiergerecht?
Was ist "Massentierhaltung"?
Der Begriff "Massentierhaltung" taucht in Deutschland erstmals 1975 auf – und zwar mit Inkrafttreten der "Verordnung zum Schutz gegen die Gefährdung durch Viehseuchen bei der Haltung von Schweinebeständen". Diese Verordnung wurde auch als "Massentierhaltungsverordnung" bezeichnet. Sie galt für Bestände ab 1.250 Schweine. Solche Betriebe mussten besondere Hygiene-Anforderungen erfüllen.
Seit 1999 trägt diese Verordnung den Namen "Schweinehaltungshygieneverordnung", der Begriff "Massentierhaltung" hat sich jedoch gehalten. Heute wird er vor allem von Tierschützerinnen und Tierschützern, Politikerinnen und Politikern sowie den Medien verwendet, um auf die – aus ihrer Sicht – Missstände moderner Produktionssysteme mit intensiver Tierhaltung hinzuweisen.
Häufig werden die Begriffe "Massentierhaltung", "Intensivtierhaltung" und "Industrielle Tierhaltung" dabei synonym verwendet. Wissenschaftlich ist der Begriff "Massentierhaltung" wenig behandelt und auch eine eindeutige Definition findet sich bislang nicht.
In einer gängigen Beschreibung auf Wikipedia heißt es: "Intensive Tierhaltung, Intensivtierhaltung, Massentierhaltung oder Industrielle Tierhaltung bezeichnet die technisierte Viehhaltung meist nur einer einzigen Tierart in ländlichen Großbetrieben mit nicht ausreichend verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen, um die benötigten Futtermittel selbst zu erzeugen. Das primäre Ziel ist dabei die größtmögliche Erhöhung des erwirtschafteten Ertrages."
Ab welcher Betriebsgröße oder ab wie vielen Tieren je Bestand oder Betrieb von "Massentierhaltung" gesprochen werden kann, ist allerdings nirgendwo definiert.
Wie viel Fleisch exportiert und importiert Deutschland?
Deutschland zählt zu den wichtigsten Importeuren und Exporteuren von Fleisch weltweit. Bei Geflügel- und Schweinefleisch hat das Handelsvolumen in den letzten 25 Jahren erheblich zugenommen.
Beim Schweinefleisch hat sich auch das Verhältnis zwischen Aus- und Einfuhren grundlegend gewandelt. Während Deutschland vor 25 Jahren noch beinahe fünfmal so viel Schweinfleisch importierte wie exportierte, wurde 2022 mehr als zweimal so viel ausgeführt wie eingeführt.
Wichtigstes Abnehmerland (Stand: 2022) ist hier Italien (18 Prozent), gefolgt von den Niederlanden (9,2 Prozent) und Polen (9 Prozent).
Was verstehen Verbraucherinnen und Verbraucher unter "Massentierhaltung"?
Ein Wissenschaftlerteam rund um Professor Achim Spiller von der Universität Göttingen hat vor einigen Jahren Verbraucherinnen und Verbraucher im Rahmen einer Studie dazu befragt, was sie unter "Massentierhaltung" verstehen: Danach beginnt für 90 Prozent aller Verbraucher "Massentierhaltung" ab circa 500 Rindern, 1.000 Schweinen und 5.000 Hähnchen.
Um diese Zahlen besser einordnen zu können, im Folgenden einige aktuelle Zahlen zur Bestandsgröße von Nutztierhaltungen in Deutschland (Stand: 2022). Hierzulande werden durchschnittlich
- 73 Milchkühe je Betrieb gehalten. 59 Prozent aller Kühe stehen in Beständen mit mehr als 100 Tieren.
- 715 Mastschweine pro Betrieb gehalten. 56 Prozent aller Schweine stehen in Beständen mit mehr als 1.000 Tieren.
- 20.000 Legehennen pro Betrieb gehalten. Rund 35 Prozent aller Legehennen befinden sich in Beständen mit mehr als 100.000 Tieren.
- 29.000 Masthähnchen pro Betrieb gehalten. Rund 81 Prozent aller Masthähnchen befinden sich in Beständen mit mehr als 50.000 Tieren.
Tierwohl-Probleme gibt es in großen und kleinen Betrieben
In der öffentlichen Diskussion um das Tierwohl wird häufig mit der Betriebsgröße beziehungsweise mit der Anzahl Tiere argumentiert: Danach werden große Tierhaltungsbetriebe allein wegen ihrer Größe beziehungsweise wegen der vielen Tiere, die sie halten, als wenig tiergerecht eingestuft.
Nach Meinung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist ein solcher Zusammenhang wissenschaftlich jedoch nicht belegbar. Nicht die Betriebsgröße sei ausschlaggebend für die Tiergerechtigkeit der Produktionsweise, sondern vor allem das Können und das Engagement der Tierhalterinnen und Tierhalter, so das BMEL.
Nationales Tierwohl-Monitoring
Um ein objektiveres und umfassenderes Bild über den Status quo des Tierwohls in Deutschland zu erhalten wurden im Projekt "Nationales Tierwohl-Monitoring" Methoden entwickelt, wie man diese Daten erheben kann.
In etwa zum gleichen Fazit kommt der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) der Bundesregierung in seinem Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung". Der WBAE räumt allerdings ein, dass es bislang nur sehr wenige wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema gibt. Die vorliegenden Studien, so der WBAE, würden jedoch nahelegen, dass Faktoren wie das Management und auch die Zucht einen sehr viel größeren Einfluss auf das Tierwohl haben als die Bestandsgröße.
Der WBAE schließt allerdings auch nicht aus, dass es bei einzelnen Aspekten des Tierwohls einen Einfluss der Bestandsgröße geben kann. So hätten beispielsweise Kühe in kleinen bis mittleren Beständen mehr Weidegang als solche in großen Beständen ab 200 Tieren.
Das liegt daran, dass in den Betrieben ab 200 Kühen zu wenig erreichbare Weidefläche für die Kühe rund um den Stall zur Verfügung gestellt werden kann. Weiterhin, so der WBAE, gäbe es auch belegte Zusammenhänge dafür, dass sich mit zunehmender Bestandsgröße, die Freilandnutzung bei Legehennen verringert oder Schweine auf Spalten statt auf Stroh gehalten werden.
Umgekehrt seien aber auch kleine Tierbestände keine Garanten für Tierwohl, so die Expertinnen und Experten des Beirats. Denn auch in kleinen und mittleren Tierbeständen gebe es nachweislich Probleme mit dem Tierwohl. So treten zum Beispiel die vieldiskutierten Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen bei Schweinen oder Federpicken bei Hühnern auch in kleinen Tierbeständen auf.
Gründe für solche Verhaltensstörungen sind also nicht die Bestandgröße, sondern es sind Faktoren wie Belegdichte – das heißt, wie viele Tiere werden pro Quadratmeter Fläche gehalten –, Stallklima und Stalleinteilung, Fütterung sowie Beschäftigungsmöglichkeiten. Diese gilt es in großen wie kleinen Betrieben zu verbessern.
Es gibt übrigens auch Fälle, in denen kleine Betriebe in Sachen Tierwohl tendenziell schlechter abschneiden als die großen: zum Beispiel in der Anbindehaltung von Rindern. So sind es nämlich vor allem kleine Milchviehbetriebe in Deutschland, in denen die Kühe noch angebunden werden.
Was sind die entscheidenden Stellschrauben für mehr Tierwohl?
Ob es den Tieren in einem Betrieb gut geht oder nicht, kann also nicht in erster Linie von der Betriebsgröße oder der Tierzahl abhängig gemacht werden. Die Frage ist vielmehr, wie die Tiere auf den Betrieben gehalten werden.
Hier spielt zum Beispiel ein gesundes Stallklima eine wichtige Rolle. Außerdem sollten die Tiere weitestgehend ihren natürlichen Verhaltensweisen nachgehen können. Dazu gehört zum Beispiel, dass Hühner "scharren" oder Schweine "wühlen" können, dass sie sich hinlegen können, wenn sie sich ausruhen möchten, oder dass sie genügend Platz für Bewegung haben.
Ein ausreichendes Platzangebot ist also wichtig. Außerdem sollte den Tieren ausreichend Beschäftigungsmaterial zur Verfügung gestellt werden.
Auch der Tierbeobachtung kommt eine bedeutende Rolle zu: Landwirtinnen und Landwirte sollten durch genaues Beobachten am Verhalten der Tiere sehen können, ob sie sich wohlfühlen. Treten Probleme auf, müssen sie dafür sorgen, dass diese behoben werden.
Zum Wohlbefinden der Tiere trägt aber auch eine gute Ernährung und eine ausreichende Wasserversorgung bei. Nur wenn die Tiere stressfrei fressen können und kein Futterneid entsteht, sind sie zufrieden.
Nicht zuletzt ist die Frage, in welchem Umfang und in welcher Weise auf den Betrieben sogenannte "nicht-kurative Eingriffe" an den Tieren vorgenommen werden, von Bedeutung für das Tierwohl. Damit ist beispielsweise das Kürzen der Schwänze bei Schweinen oder das Schnabelkürzen bei Puten gemeint.
Auch die Zucht von Nutztieren, insbesondere die von Geflügel, sollte neu überdacht werden. Moderne Zuchtlinien befinden sich heute an der äußersten biologischen Belastungsgrenze. Kleinste Fehler im Management der Betriebe können somit zu massiven gesundheitlichen Schäden bei den Tieren führen.
Die Probleme angehen – unabhängig von der Betriebsgröße
MuD Tierschutz
Die MuD Tierschutz zielen auf einen schnellen und effektiven Transfer von Forschungsergebnissen in die landwirtschaftliche Praxis ab und schließen somit die Lücke zwischen Wissenschaft und Praxis. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Umsetzung neuer Erkenntnisse und innovativer Maßnahmen, die die Gesundheit und das Wohl der Tiere, eine tiergerechte Haltung oder die Auswirkungen moderner Tierhaltungsverfahren auf die Umwelt betreffen.
Dass es in Sachen Tierwohl in Deutschland Verbesserungsbedarf gibt, belegen inzwischen mehrere Studien. So schreibt der WBAE in seinem Gutachten: "Die vorliegenden Daten zu Mortalitäten [das heißt Sterberate], Erkrankungsraten und Behandlungsfrequenzen zeigen, dass auf den Betrieben im Durchschnitt eher unbefriedigende Situationen im Hinblick auf das Tierwohl vorherrschen".
Deutschland nehme, so der WBAE weiter, beim Tierschutz innerhalb Europas keine Vorreiterrolle ein, sondern befinde sich "im gehobenen Mittelfeld". Es besteht also allgemein Handlungsbedarf, um das Tierwohl zu verbessern.
Diesbezüglich gibt es inzwischen von staatlicher Seite zahlreiche Vorhaben. So haben das BMEL und die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) zum Beispiel mit den Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz zahlreiche Projekte zur Verbesserung des Tierwohls in der Nutztierhaltung angestoßen.
Letzte Aktualisierung: 10. Juli 2024
Weitere Informationen
Thünen-Institut: Themenfeld – Nutztierhaltung und Aquakultur