Wie funktionieren regionale Wertschöpfungsketten?
Kurze Transportwege und traditionelles Handwerk – vieles spricht für regionale Wertschöpfungsketten. Doch es bedarf auch geeigneter Strukturen.
Lange Zeit waren regionale Wertschöpfungsketten bei Lebensmitteln selbstverständlich. Landwirtschaftliche Betriebe gaben ihre Erzeugnisse wie Fleisch, Milch oder Getreide an lokale Schlachtereien, Molkereien oder Mühlen ab. Dort wurden sie weiterverarbeitet und die Endprodukte über Fleischereien, Bäckereien und kleinere Lebensmittelläden vermarktet.
Hätten Sie’s gewusst?
Als Wertschöpfungskette bezeichnet man die Abfolge aller Herstellungs- und Vermarktungsstufen, die ein Produkt durchläuft – vom Rohstoff bis zum Konsum. Auf jeder dieser Stufen wird ein zusätzlicher ökonomischer Wert geschaffen.
Inzwischen haben sich diese regionalen Erzeugungs- und Verarbeitungsstrukturen in der Lebensmittelwirtschaft weitgehend aufgelöst. Nicht zuletzt durch wirtschaftlichen Druck kam es zu einem massiven Strukturwandel. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich seit 1995 mehr als halbiert und in der Lebensmittelverarbeitung dominieren heute wenige große Schlachtereien, Molkereien und Mühlen den Markt.
Noch deutlicher ist die Marktkonzentration im Handel. 76 Prozent der gesamten Umsatzerlöse mit Lebensmitteln entfielen 2023 in Deutschland auf nur vier Unternehmen.
Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung finden überwiegend im industriellen Maßstab statt – und das in der Regel europa- oder gar weltweit. Das ist zwar sehr effizient und ermöglicht eine kostengünstige Produktion von Lebensmitteln, legt man auch ökologische oder ethische Maßstäbe an, spricht jedoch viel für eine Rückbesinnung auf kleinteiligere Strukturen.
Stärkung lokaler Verarbeiterinnen und Verarbeiter
Daher versucht man seit einigen Jahren, die regionale Wertschöpfung für landwirtschaftliche Erzeugnisse wieder zu stärken und auszubauen. Regionale Wertschöpfungsketten versprechen kurze Wege von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zur Vermarktung. Das bringt eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich:
Stärkt man kleine Verarbeiter wie Mühlen, Bäckereien und Schlachtereien vor Ort, lassen sich Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region halten und traditionelle Handwerkstechniken in der Verarbeitung bewahren. Auch Transportwege werden minimiert. Davon profitiert die Umwelt, aber auch Schlachttiere müssen nicht mehr mehrere Stunden zu weit entfernten Großschlachtereien gefahren werden.
Auch im globalen Zusammenhang bringen eingesparte Transportwege mehr als nur ökologische Vorteile mit sich. Die Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg haben schmerzlich deutlich gemacht, wie anfällig internationale Liefer- und Verarbeitungsketten auch bei der Lebensmittelherstellung sind.
Vorteile für die Region
Je länger die Verarbeitungskette für einen landwirtschaftlichen Rohstoff in der Region ist, desto größer sind die Effekte. Wird zum Beispiel Getreide in einer lokalen Mühle gemahlen, vom lokalen Kleinbäcker verbacken und anschließend in der Region vermarktet, bleiben hier Arbeitsplätze erhalten oder es entstehen zum Teil sogar neue Jobs. So kann die Wertschöpfung von Agrarerzeugnissen im Vergleich zum bloßen Rohstoffverkauf an überregionale Abnehmer um das bis zu siebenfache gesteigert werden.
Grundsätzlich sind regionale Wertschöpfungsketten für fast alle Lebensmittel denkbar. Bewährt hat sich zum Beispiel die Mast von Rindern oder Schweinen regionaler Rassen, die vom lokalen Schlachter verarbeitet und vermarktet werden, etwa an Restaurants und den Lebensmitteleinzelhandel in der Region. Auch für Getreide und Brot oder Milch und Käsespezialitäten konnten regionale Wertschöpfungsketten erfolgreich etabliert werden.
Regionale Wertschöpfung ist aber auch mit anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen möglich, zum Beispiel mit nachwachsenden Rohstoffen wie Hanf. Auch hier gibt es neben dem reinen Anbau verschiedene Aufbereitungsstufen, die auf lokaler Ebene stattfinden können.
Viele Herausforderungen beim Aufbau
Trotz der vielen Vorteile ist es alles andere als ein Selbstläufer regionale Wertschöpfungsketten aufzubauen und langfristig zu etablieren. Denn der Strukturwandel lässt sich nicht kurzerhand zurückdrehen. So gibt es in vielen ländlichen Regionen kaum noch kleinere Mühlen, die Getreide in Absprache mit den Abnehmern aufbereiten. Auch die Zahl kleiner Schlachtereien und Bäckereien ist stark rückläufig.
Sind diese Strukturen noch vorhanden, müssen alle Beteiligten offen sein für ein regionales Wertschöpfungskonzept und es gemeinsam mitentwickeln und tragen. Das erfordert viel Vertrauen, Zeit und Kommunikation, vor allem für die Abstimmung der Abläufe, der Mengen und der gewünschten Qualitäten.
Gute Vermarktung ist wichtig
Zudem wird auch ein schlüssiges Vermarktungskonzept benötigt. Schließlich werden wesentlich kleinere Mengen mit größerem Aufwand verarbeitetet als etwa in Großmolkereien und -bäckereien. Die höheren Kosten für regionale Milch und Brot aus lokalem Getreide müssen deshalb über höhere Preise aufgefangen werden. Damit Verbraucherinnen und Verbraucher bereit sind, einen entsprechenden Aufpreis zu zahlen, muss zunächst die Botschaft bei ihnen ankommen, dass regionale Lebensmittel einen Mehrwert für Umwelt, Mensch und Tier bieten. Hier ist gutes Marketing gefragt.
Dass das gelingen kann, zeigen zahlreiche erfolgreiche regionale Vermarktungsinitiativen in ganz Deutschland. Viele von ihnen haben sich im Bundesverband der Regionalbewegung e.V. zusammengeschlossen. Im Rahmen des RegioPortals können Regionalinitiativen mögliche Kooperationspartner finden und Landwirtinnen und Landwirte sich über mögliche Vermarktungswege ihrer Produkte informieren. Aktuell sind 217 Initiativen im RegioPortal verzeichnet, sodass Verbraucherinnen und Verbraucher gute Chancen haben, über die Umkreissuche auch in ihrer Nähe Anbieter regionaler Produkte zu finden.
Auch von der Politik wird der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten für Agrarerzeugnisse inzwischen gezielt gefördert. In einigen Regionen gibt es sogar professionelle Wertschöpfungskettenmanagerinnen und -manager, die Akteure für den Aufbau zusammenbringen und beraten.
Letzte Aktualisierung: 6. Mai 2024