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Flächenstilllegung ausgesetzt: Die Folgen für Landwirtschaft und Umwelt

Das agrarpolitische Instrument der Flächenstilllegung ist nahezu kontinuierlich seit den 1990er-Jahren im Einsatz – mit unterschiedlichen Zielen.

Brachliegende Landwirtschaftsfläche, im Hintergrund Bäume.
Nach aktueller EU-Agrarreform hätten alle Landwirtschaftsbetriebe ab 2023 jährlich vier Prozent ihrer Fläche stilllegen müssen. Diese Vorgabe wurde nun zum zweiten Mal ausgesetzt.
Quelle: heidepinkall/stock.adobe.com

Anfang Februar 2024 hat die EU-Kommission als Reaktion auf die anhaltenden europaweiten Bauernproteste entschieden, landwirtschaftlichen Betrieben 2024 mit weitreichenden Ausnahmen bei der Flächenstilllegung entgegenzukommen. Mit dieser Maßnahme wolle man "den Landwirtinnen und Landwirten mehr Flexibilität gewähren und den Druck, dem sie derzeit ausgesetzt sind, verringern", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium gab am 29. Februar bekannt, dass Deutschland den Vorschlag der EU-Kommission eins zu eins übernehmen wird.

Aber was ist das für eine Ausnahme, die die EU-Kommission da vorschlägt? Und warum stellt sie eine Entlastung für die Landwirtschaftsbetriebe dar? Um das zu verstehen, muss man erst einmal wissen, was es mit der Flächenstilllegung überhaupt auf sich hat.

Flächenstilllegung als Instrument zum Erhalt der Biodiversität

2023 hat die EU im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die verpflichtende Flächenstilllegung eingeführt. Für Landwirtinnen und Landwirte bedeutet das, dass sie jährlich vier Prozent ihres Ackerlands als sogenannte nichtproduktive Fläche vorhalten müssen, wenn sie den Anspruch auf die staatlichen Fördergelder (Direktzahlungen) nicht verlieren möchten.

Die betreffenden Stilllegungsflächen – auch Brachflächen oder Brachen genannt – müssen weitgehend sich selbst überlassen werden. Das heißt, es dürfen darauf keine Kulturpflanzen angebaut und auch keine Dünge- und Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Allein die Aussaat von Pflanzenmischungen ist erlaubt. Angerechnet wird darüber hinaus auch, wenn auf Ackerflächen natürliche Landschaftselemente wie Hecken angelegt werden.

Zweck dieser Maßnahme ist es, mehr natürliche Lebensräume für Wildkräuter und Wildtiere zu schaffen, um damit dem extremen Verlust der Biodiversität in den Agrarlandschaften entgegenzuwirken.

Erbsenpflanze mit grünen Hülsen
2024 dürfen Landwirtschaftsbetriebe auf den vier Prozent Stilllegungsfläche Leguminosen wie Erbsen anbauen.
Quelle: moonrise/stock.adobe.com

Ausblick

Im März 2024 hat die EU-Kommission darüber hinaus vorgeschlagen, die Stilllegungspflicht generell auf den Prüfstand zu stellen. Stattdessen sollen Landwirtinnen und Landwirte zusätzliche finanzielle Unterstützung über eine Öko-Regelung erhalten können, wenn sie auf freiwilliger Basis beschließen, einen Anteil ihres Ackerlandes als nichtproduktive Fläche beizubehalten oder neue Landschaftselemente (wie Hecken oder Bäume) zu schaffen.

Welche Ausnahmen von der Stilllegungspflicht gewährt die EU für 2024?

Statt der ursprünglich vorgesehenen Stilllegung von vier Prozent ihres Ackerlandes, wird es Landwirtinnen und Landwirte laut aktuellem Kommissionvorschlag nun erlaubt sein, alternativ auch Leguminosen wie Bohnen, Erbsen oder Linsen dort anzubauen.

Auch Getreide oder andere Kulturen sind erlaubt, wenn nach deren Ernte bis spätestens zum 15. Oktober 2024 eine Zwischenfrucht ausgesät und diese weder gedüngt noch mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wird.

Wo liegen die Vorteile für die Landwirtschaftsbetriebe?

Der Vorteil für die Landwirtinnen und Landwirte besteht darin, dass sie die Flächen, auf denen sie sonst keine Erträge erzielt hätten, jetzt mit verkaufsfähigen Kulturen bewirtschaften können.

Zudem können sie eine Prämie beantragen, wenn sie 2024 zusätzlich zu den vier Hektar Leguminosen und/oder Zwischenfrüchten noch "echte" Brachen im ursprünglichen Sinne der EU-Vorgaben anlegen.

Und zwar 1.300 Euro für den ersten Hektar beziehungsweise das erste Prozent Ackerfläche, das für Brache bereitgestellt wird. Für das nächste Prozent gäbe es 500 Euro pro Hektar, ab dem dritten Prozent 300 Euro – bis maximal sechs Prozent Brachfläche. Bislang vorgesehen, war diese Prämie nur für Brachflächen, die über die verpflichtenden vier Prozent Stilllegung hinaus gehen.
Um diese Beträge besser einordnen zu können: Ein durchschnittlicher bayerischer Getreidebaubetrieb machte laut Bayrischer Landesanstalt für Landwirtschaft im Wirtschaftsjahr 2022/23 zwischen 413 und 476 Euro Gewinn pro Hektar.

Umweltverbände kritisieren den Beschluss als "Rückschritt in alte Zeiten"

Zahlreiche deutsche Umweltverbände äußerten sich sehr kritisch über die Entscheidung von EU-Kommission und Bundesregierung: Flächen für die Artenvielfalt seien kein "nice-to-have", sondern eine Notwendigkeit für den Erhalt intakter Agrarökosysteme, ist in einer gemeinsamen Presseerklärung lesen. Dieser Bedarf sei umfassend wissenschaftlich belegt und komme auch in den Zielen der EU-Biodiversitätsstrategie hinreichend zum Ausdruck, schreibt der Deutsche Naturschutzring in einem Hintergrundpapier.

Flächenstilllegung erneut ausgesetzt

Mit dem aktuellen Entscheid aus Brüssel wird die Stilllegungsverpflichtung bereits das zweite Jahr in Folge ausgesetzt. 2023 gaben zahlreiche EU-Länder – darunter auch Deutschland – die vier Prozent Stilllegungsfläche wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zur Bewirtschaftung frei. Damals wollte man einen Ausgleich schaffen zur weltweiten Getreideverknappung, die durch den Krieg verursacht wurde.

Ukrainische Flagge liegt auf reifen Getreidepflanzen
Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde 2023 die vierprozentige Stilllegungsverpflichtung das erste Mal ausgesetzt.
Quelle: Anna Koberska via Getty Images

Abbau von Überproduktion

Die Idee, landwirtschaftliche Flächen stillzulegen, gibt es in Europa nicht erst seit 2023. Eingeführt wurde die verpflichtende Flächenstilllegung bereits Anfang der 1990er-Jahre. Allerdings nicht aus ökologischen Gründen, sondern als staatliche Lenkungsmaßnahme, um die EU-weite Überproduktion von Nahrungsmitteln einzuschränken.

Die Überproduktion war eine direkte Folge der EU-Agrarpolitik der 60er- und 70er-Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich verschiedene europäische Staaten – darunter auch Deutschland – zusammengeschlossen, um der desolaten europäischen Landwirtschaft gemeinsam auf die Beine zu helfen. Das eingeführte Agrarfördersystem hatte Erfolg, führte jedoch zu einem neuen Problem: Überproduktion.

Die EU versuchte dieses Problem ebenfalls durch staatliche Eingriffe in den Griff zu bekommen und führte zum Beispiel Exportsubventionen ein. Die Kosten der Gemeinsamen Agrarpolitik wurden mit der Zeit jedoch untragbar hoch. Anfang der 1990er-Jahren änderte die EU daher ihr Fördersystem und führte unter anderem das Instrument der verpflichtenden Flächenstilllegung ein.

Von nun an mussten alle landwirtschaftlichen Betriebe, mit Ausnahme der ganz kleinen, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Fläche stilllegen, wenn sie einen Anspruch auf Fördergelder erhalten wollten.

Die Höhe des Stilllegungsanteils variierte über die Jahre: Mit Einführung der Maßnahme im Anbaujahr 1993/94 mussten Landwirtinnen und Landwirte 15 Prozent ihrer Fläche stilllegen. Ab 1999 wurde der Anteil für einige Jahre auf zehn Prozent und 2004 noch einmal auf fünf Prozent gesenkt.

Damalige Vorgabe für die Stilllegungsflächen war: Es durften keine Lebens- und Futtermittel darauf angebaut werden.

Durch Exporterstattungen subventionierte Lebensmittelexporte führten in der EU zu hohen Kosten.
Quelle: wlfella via Getty Images

Die meisten Betriebe überließen die Flächen sich selbst, sodass sich dort Wildkräuter und -gräser ansiedelten. Auf besonderen Antrag durften Stilllegungsflächen auch für den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen verwendet werden, also zum Beispiel Raps für die Biokraftstoffproduktion.

2008 wurde die verpflichtende Flächenstilllegung aufgrund der rückläufigen EU-Überschüsse zunächst ausgesetzt und 2009 dann ganz eingestellt.

Ökologische Erkenntnis aus der Zeit der verpflichtenden Flächenstilllegung

In den rund 16 Jahren, in denen die verpflichtende Flächenstilllegung galt, erkannte man, dass die selbstbegrünten Brachen nicht nur halfen, die Überproduktion abzubauen, sondern auch eine große Bedeutung für die Artenvielfalt haben.
Die europaweite Abschaffung der Stilllegungspflicht ab 2008 führte somit zu enormen Biodiversitätsverlusten, die heute in zahlreichen Studien dokumentiert sind.

Zwar bestand auch nach 2008 noch auf freiwilliger Basis die Möglichkeit, Flächen stillzulegen. Da der Gewinn einer mit Kulturpflanzen bewirtschafteten Ackerfläche aber in der Regel höher war als die Prämie für ihre Stilllegung, wurde ab 2008 deutlich weniger Fläche stillgelegt. Laut Statistischem Bundesamt reduzierte sich der Brachflächenanteil in Deutschland allein zwischen 2007 und 2009 um mehr als 60 Prozent, von 5,5 auf 2,1 Prozent der deutschen Ackerfläche.

Maßnahmen ab 2014 haben kaum ökologischen Effekt…

Um den Anteil an Brachflächen wieder zu steigern, wurde im Rahmen der GAP-Reform ab 2014 die Maßnahme der "Ökologischen Vorrangfläche" (ÖVF) eingeführt. Mindestens fünf Prozent der Ackerfläche mussten Landwirtinnen und Landwirte als ÖVF vorhalten, um Anspruch auf die staatliche Flächenprämie zu erhalten. Für die Ausgestaltung der ÖVF gab es verschiedene Optionen: Alternativ zur selbstbegrünenden Brache durften die Betriebe dort auch Zwischenfrüchte oder Leguminosen anbauen.

Insgesamt kam man in Deutschland 2021 zwar auf mehr als 1,2 Millionen Hektar ÖVF, was einem Anteil von rund zehn Prozent an der gesamten Ackerfläche entsprach. Die für die Artenvielfalt so wichtigen Ackerbrachen hatten daran jedoch nur einen Anteil von 12 Prozent, was rund 1,5 Prozent der gesamten Ackerfläche ausmachte. Auf mehr als drei Viertel der ÖVF bauten die Landwirtinnen und Landwirte 2021 Zwischenfrüchte an. Diese Option hat jedoch einen deutlich geringeren Effekt auf die Biodiversität als Ackerbrachen.

…und resultieren in der Einführung der vierprozentigen Stilllegungsverpflichtung 2023

Um den Brachflächenanteil wieder in Richtung des Niveaus von 2007 zu bringen, beschloss die EU für die Förderperiode 2023 bis 2027 die vierprozentige Stilllegungsverpflichtung einzuführen. Die Optionen Zwischenfrüchte oder Leguminosen, wie in den Vorjahren, waren nun nicht mehr vorgesehen.

Durch die Aussetzung der Stilllegungsregelung für die Jahre 2023 und 2024 hat sich der Brachflächenanteil seither nicht wesentlich geändert.

Der Laderaum eines großen Frachters wird von einer Kranschaufel mit Getreide befüllt
Viele Länder sind auf Getreideimporte angewiesen.
Quelle: Eugene/stock.adobe.com

Ökologische Stilllegungsverpflichtung in Zeiten weltweiter Nahrungsknappheit: eine Kontroverse?

Besonders vor dem Hintergrund weltweiter Nahrungsknappheit wird die ökologische Stilllegungsverpflichtung immer wieder kontrovers diskutiert. Gegner der Maßnahme argumentieren, dass es unverantwortlich sei, Flächen stillzulegen, während Menschen in vielen Teilen der Welt Hunger leiden. Stilllegungen würden zur Nahrungsmittelverknappung beitragen und die Preise für Lebensmittel in die Höhe treiben. Sie fordern daher eine Abschaffung der EU-Stilllegungsverpflichtungen über 2024 hinaus.

Befürworter der ökologischen Flächenstilllegung argumentieren hingegen, dass ohne eine solche Maßnahme der Verlust der Biodiversität weiter voranschreite und langfristig die Grundlage für die Lebensmittelerzeugung gefährde. Nur durch eine nachhaltigere Landwirtschaft, zu der auch ein Mindestmaß an Brachflächen gehöre, könne zukünftig Ernährungssicherheit gewährleistet werden.

Laut verschiedener Agrarökonominnen und Agrarökonomen brächte ein Verzicht auf die Stilllegungspflicht jedoch gar nicht den gewünschten Effekt. Denn bei den stillgelegten Flächen handele es sich in der Regel um Flächen, die nur wenig ertragreich seien. 2022 haben drei Agrarökominnen und Agrarökonomen im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung verschiedene Szenarien durchgerechnet, welchen Effekt es auf die weltweiten Agrarmärkte hätte, wenn man in Europa vier Prozent der Fläche nicht stilllegen würde.

Sie kamen zu dem Schluss, dass dies die globale Getreideproduktion um lediglich 0,4 Prozent steigern würde. Auf den Weltmarktpreis für Getreide hätte dies, so die Agrarökonominnen und Agrarökonomen, nur sehr geringe Auswirkungen.

Letzte Aktualisierung: 12. März 2024


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