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Eine tiergerechtere Haltung kostet Geld – doch wer soll das bezahlen?

Viele Menschen in Deutschland wünschen sich eine tiergerechtere und umweltschonendere Tierhaltung. Die ist machbar, kostet aber.

Eine tiergerechtere Nutztierhaltung ist mit mehr Kosten verbunden. Doch wer zahlt das?
Quelle: kadmy via Getty Images

Die intensive Nutztierhaltung, wie sie heute in Deutschland weit verbreitet ist, steht immer mehr in der Kritik. Beklagt werden vor allem die wenig tiergerechten Bedingungen, unter denen Rinder, Schweine und Geflügel gehalten werden. Auch für die Methoden, wie man die Tiere unter anderem durch Zucht und Amputationen an diese Haltungsbedingungen anpasst, wird immer weniger Verständnis aufgebracht. Hinzu kommen andere Probleme, wie zum Beispiel das stark gestiegene Gülleaufkommen in tierreichen Regionen oder der hohe Antibiotikaeinsatz.

Die Kritik kommt schon lange nicht mehr nur von Umwelt- und Tierschutzverbänden. Auch Verbraucherinnen und Verbrauchern beklagen sich. Zudem werden Bedenken von fachwissenschaftlicher Seite laut. So hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (WBA) bereits 2015 in seinem Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" einen Umbau der Tierhaltung in Deutschland gefordert.

Mehr Tierwohl – höhere Kosten

Viele Landwirtinnen und Landwirte wären grundsätzlich bereit, auf ihren Betrieben für mehr Tierwohl zu sorgen. Doch das kostet Geld: Denn es müssten Ställe umgebaut und mehr Zeit in das Management investiert werden.

Außerdem bedeutet mehr Platz für die Tiere auch, dass auf gleicher Fläche weniger erzeugt werden kann. Das heißt für die Landwirtinnen und Landwirte de facto weniger Einkommen.

Investitionen in mehr Tierwohl führen zwar häufig zu sinkenden Kosten für Medikamente, da die Tiere sich insgesamt wohler fühlen und weniger krank sind. Wirklich kompensieren könnten die Landwirtinnen und Landwirte die Kosten aber letztlich nur über höhere Preise für ihre Erzeugnisse. Doch wie realistisch sind die?

Trotz anderslautender Bekundungen kaufen nur die wenigsten Verbraucherinnen und Verbraucher besonders tiergerecht erzeugte Produkte, denn sie kosten mehr.
Quelle: gilaxia via Getty Images

Zwischen Moral und Geldbeutel

Verschiedene Umfragen haben ergeben, dass die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher bereit wären, für Fleisch mehr zu bezahlen, wenn es den Tieren dafür besser geht. Dies hat dazu geführt, dass von verschiedensten Initiativen entsprechende Tierwohlkriterien entwickelt und Landwirtinnen und Landwirte geworben wurden, diese auf ihren Betrieben umzusetzen. Erzeugnisse aus solchen Tierwohl-Betrieben, sind heute – mit entsprechenden Labeln gekennzeichnet – in vielen Supermarktregalen zu finden. Sie sind teurer als die herkömmlichen tierischen Produkte, damit die Bauernhöfe über den Mehrerlös die entstandenen Zusatzkosten decken können – so die Idee.

Die Sache hat jedoch einen Haken: Die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher sprechen sich zwar in Umfragen für mehr Tierwohl aus und beteuern ihre Bereitschaft, für entsprechend erzeugte Produkte auch mehr zu zahlen. Wie verschiedene Studien belegen, kaufen aber nur die wenigsten die teureren tiergerecht erzeugten Produkte auch tatsächlich im Laden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Göttingen haben diese Diskrepanz zwischen Moral und Geldbeutel untersucht und sprechen von der Konsumenten-Bürger-Lücke.  

Wenn aber Verbraucherinnen und Verbraucher an der Ladentheke den Umbau der Tierhaltung nicht finanzieren, wer tut es dann?

Was kostet der Umbau der Tierhaltung in Deutschland?

2019 hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung eingesetzt. Das auch als Borchert-Kommission bekannte Netzwerk sollte Vorschläge erarbeiten, wie sich das Tierwohlniveau substanziell verbessern lässt und kalkulieren, welche Kosten für einen entsprechenden Umbau der Nutztierhaltung anfallen würden.

In einer Studie vom Februar 2020 bezifferte das Netzwerk die jährlichen Kosten zu Beginn der Umstellung (etwa im Jahr 2025) auf 1,2 Milliarden Euro, ab 2030 – mit zunehmendem Umfang der Umstellungsmaßnahmen – auf 2,4 Milliarden und ab 2040 sogar auf 3,6 Milliarden.

Die Verfasser einer vom BMEL im März 2021 veröffentlichten Machbarkeitsstudie, die die Vorschläge der Borchert-Kommission geprüft haben, kommen sogar auf noch höhere Beträge – nämlich 2,9 Milliarden Euro jährlich zu Beginn, 4,3 Milliarden ab 2030 und 4 Milliarden ab 2040.

Zwei mögliche Modelle der Finanzierung

Heute ist sich die Mehrheit der Experten einig, dass eine substanzielle Verbesserung des Tierwohlniveaus in Deutschland allein über den Markt – das heißt also mit Tierwohllabeln und an Verbraucherinnen und Verbraucher gerichteten Informationskampagnen – nicht erreicht werden kann. Sie plädieren daher dafür, einen Großteil der den Landwirtinnen und Landwirten entstehenden Mehrkosten für die tiergerechten Haltungsverfahren in Form einer langfristig angelegten staatlichen Förderung zu kompensieren.

Diskutiert wird darüber, woher das Geld dafür kommen soll. Im Gespräch sind vor allem zwei Modelle: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie eine Verbrauchssteuer auf Fleisch.

Egal ob die Mehrwertsteuer angehoben oder eine Verbrauchssteuer eingeführt wird: bei beiden Modellen wird Fleisch teurer, dafür aber auch tierwohlgerechter.
Quelle: frantic00 via Getty Images

Erhöhung der Mehrwertsteuer

Unterschiedliche Ansichten gibt es darüber, ob es zielführend ist, die Mehrwertsteuer für tierische Produkte von 7 auf 19 Prozent anzuheben. Eine solche Steueranhebung wäre mit verhältnismäßig wenig Verwaltungsaufwand umsetzbar. Laut Machbarkeitsstudie von März 2021 stände bei dieser Maßnahme auch einer Zweckbindung des dadurch gewonnenen Geldes nichts im Wege: Über entsprechende Gesetze ließe sich regeln, dass das Geld nur für den Zweck des Umbaus der Tierhaltung verwendet werden dürfe.

Auch die vom Kompetenznetzwerk geäußerte Sorge, dass die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer, die ja zu 50 Prozent den Bundesländern zufließen, aufgrund der sehr ungleichen Verteilung der Tierhaltung in Deutschland ungerecht verteilt würden, konnten die Gutachter zerstreuen.

Ein Problem sehen die Verfasser der Machbarkeitsstudie jedoch darin, dass eine solche Steuererhöhung als "diskriminierende inländische Steuer" gewertet werden könnte. Denn die Steuererhöhung würde auch für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsländern gelten. Deren Erzeugerinnen und Erzeuger könnten jedoch nicht an der deutschen Tierwohlförderung teilhaben.

Darüber hinaus gäbe es noch einen unerwünschten Effekt, den die Mehrwertsteuererhöhung mit sich brächte: Sie bezieht sich auf den Warenwert und nicht auf die Warenmenge. Dadurch würden besonders nachhaltig und tiergerecht erzeugte Produkte, die sowieso schon wesentlich teurer sind – wie zum Beispiel Bio-Produkte –, unverhältnismäßig benachteiligt, wie das folgende Beispiel zeigt:


Wie unterschiedlich sich eine Mehrwertsteuererhöhung auf ein Kilogramm Hähnchenbrust aus konventioneller und aus ökologischer Herkunft auswirken würde:

1 Kilogramm Hähnchenbrust konventionell bio
kostet bei 7% Mehrwertsteuer: 7 Euro 30 Euro
kostet bei 19% Mehrwertsteuer: 7,78 Euro 33,37 Euro
Die Mehrkosten durch die Mehrwertsteuer-Erhöhung betragen: 0,78 Euro 3,37 Euro

Das Beispiel verdeutlicht, dass Verbraucherinnen und Verbraucher im Falle einer Mehrwertsteueranhebung von sieben auf 19 Prozent für ein Kilogramm Bio-Hähnchenbrust 3,37 Euro mehr zahlen müssten, für das Kilogramm konventionell erzeugte Hähnchenbrust hingegen nur 0,78 Euro.


Zu den weiteren Videos des BZL-YouTube-Kanals

Verbrauchssteuer auf Fleisch

Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung favorisiert in seiner im Februar 2020 herausgebrachten Empfehlung die Einführung einer Verbrauchssteuer auf Fleischwaren. Eine solche Verbrauchssteuer bezieht sich auf die vom Endkunden erworbene Menge an tierischen Produkten.

Ein Vorteil gegenüber der Mehrwertsteuererhöhung wäre, dass Bio- und besonders nachhaltig erzeugte Produkte durch die Verbrauchssteuer in gleicher Höhe verteuert würden wie konventionell erzeugte. Denn die Erhöhung bezieht sich auf die Menge und nicht auf den Warenwert.

Problematisch ist jedoch – ebenso wie bei der Mehrwertsteuererhöhung –, dass die Verbrauchssteuer auch auf Produkte anderer Mitgliedsstaaten der EU erhoben würde, die nicht an der Tierwohlförderung Deutschlands teilhaben könnten.

Ein weiterer gravierender Nachteil ist laut der Verfasser der Machbarkeitsstudie auch, dass der Verwaltungsaufwand für die Erhebung einer Verbrauchssteuer sehr viel höher wäre als der für eine Mehrwertsteuererhöhung.

Folgende Aufschläge werden vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung vorgeschlagen:

Um einkommensschwache Haushalte nicht unverhältnismäßig hoch zu belasten, schlägt das Netzwerk vor, die Einführung der Verbrauchssteuer sozialpolitisch zu flankieren, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Bürgergeld-Sätze oder die Absenkung der Einkommensteuer in niedrigen Einkommensgruppen.

Ein Metzger wiegt Fleisch ab
Anders als die Mehrwertsteuer bezieht sich die Verbrauchssteuer auf die Warenmenge und nicht auf den Warenwert.
Quelle: sturti via Getty Images

Weitere Möglichkeit: Ergänzungsabgabe Tierwohl

Laut der Machbarkeitsstudie kommt noch eine dritte, von der Borchert-Kommission bisher nicht in Betracht gezogene Variante infrage: eine "Ergänzungsabgabe Tierwohl" auf die Einkommenssteuer, ähnlich dem Solidaritätszuschlag. Diese Form der Steuererhöhung hätte keinen diskriminierenden Effekt auf andere Mitgliedsstaaten, da diese Abgabe ja unabhängig vom Verbrauch oder Erwerb des tierischen Produkts erhoben würde. Ungerecht wäre hingegen, dass alle deutschen Steuerzahlerinnen und -zahler zur Kasse gebeten würden – auch solche, die sich vegetarisch oder vegan ernähren.

Bislang keine Einigung

Die Pläne der Borchert-Kommissionen zum Umbau der Tierhaltung und mögliche Finanzierungskonzepte liegen seit geraumer Zeit auf dem Tisch, noch hakt es aber an der politischen Umsetzung. Bislang konnten sich die Regierungsparteien lediglich auf eine Anschubfinanzierung in Höhe von einer Milliarde Euro einigen, nicht aber auf eine Lösung für die langfristige Finanzierung des Umbaus.

Letzte Aktualisierung: 16. November 2023


Weitere Informationen

Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (PDF)

Universität Göttingen: Warum wir eine Tierschutzsteuer brauchen – Die Bürger-Konsumenten-Lücke (PDF)

Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik: Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung (PDF)


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