Woher stammt das Saatgut für unsere Lebensmittel?
Moderne Hybridsorten bestimmen heute den Markt. Das beschert uns makelloses Gemüse, geht allerdings auf Kosten der Vielfalt auf den Feldern.
Mit der Saat fängt alles an. Ob Tomate, Gerste, Möhre oder Salat – Ursprung der meisten Kulturpflanzen ist das Samenkorn. Es ist die Basis für unsere Ernährung und Grundlage unserer Existenz. Früher erzeugten Bäuerinnen und Bauern Saatgut selbst. Bei Getreide etwa behielten sie einen Teil der geernteten Körner für die Aussaat im nächsten Frühjahr zurück.
Doch wer entscheidet heute darüber, was auf Feldern, in Gärtnereien und schließlich auf unserem Teller landet? Woher kommt die Saat, die Mensch – und Tier – ernährt?
Mensch und Pflanze – eine enge Beziehung
Saatgut ist ein Kulturgut. Die Entwicklung von uns Menschen ist eng damit verknüpft. Seit der Mensch Pflanzen anbaut, hat er sie ständig verändert. Aus nutzbaren Wildpflanzen hat er Kulturpflanzen gemacht. Stets hat er nur solche Pflanzen vermehrt, die seinen Ansprüchen genügten, gesund waren und kräftig wuchsen.
Neben dieser Auslese (Selektion) hat Mutation – eine spontane Veränderung des Erbguts – die Pflanzen verändert. Je nachdem, ob eine Mutation zu erwünschten oder unerwünschten Eigenschaften führte, wurden Pflanzen weitervermehrt oder eben nicht.
Lange war Saatgut Allgemeingut. Es wurde "über den Gartenzaun" weitergegeben und getauscht. Anbau und Züchtung lagen über Jahrhunderte hinweg in den Händen von Bäuerinnen und Bauern.
Trennung von Anbau und Züchtung
Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich das. Anbau und Vermehrung wurden voneinander getrennt. Man begann, Pflanzen professionell zu züchten, um damit Geld zu verdienen. Neben den traditionellen Züchtungsmethoden der Auslese und Mutation wurden Pflanzen gezielt miteinander gekreuzt, um gewünschte Eigenschaften in einer neuen Sorte zu vereinen.
Zuchtziele wie Ertrag und Einheitlichkeit der Pflanzen rückten immer stärker in den Vordergrund. Andere Qualitäten, die bis dahin wichtig waren, wie Widerstandsfähigkeit im Anbau, geschmackliche Qualitäten oder lokale Anbaueignung, verloren an Bedeutung.
Ab den 1930er-Jahren kamen Hochleistungssorten auf den Markt, sogenannte Hybridsorten, die heute den globalen Saatgutmarkt dominieren.
Hybridsorten – topp und hopp
Große rote Einheitstomaten und makellose Paprika, eine wie die andere: Statt Vielfalt in Farbe, Form, Geschmack und Verwendungszweck haben sich einheitliche Hybridsorten in der Gemüseauslage von Supermärkten breitgemacht. Doch was zeichnet Hybridsorten aus?
Am Anfang steht die Entwicklung von Inzuchtlinien. Sie besitzen besonders begehrte Eigenschaften, zum Beispiel einen hohen Ertrag oder eine bestimmte Fruchtfarbe.
Kreuzt man beide Inzuchtlinien miteinander, geben sie diese Eigenschaften zuverlässig an ihre Nachkommen weiter. So entsteht Hybridsaatgut. Hinzu kommt noch der sogenannte Heterosis-Effekt: Nach dem Motto "das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" sind Hybridsorten noch deutlich leistungsstärker als man rein aus der Betrachtung der Elternteile erwarten würde.
Der Nachteil: Diese Superpflanzen taugen nicht zur Nachzucht. Denn der Heterosis-Effekt verpufft schon in der folgenden Generation wieder. Die gewünschten Eigenschaften verlieren sich.
Das hat zur Folge, dass Landwirtinnen und Landwirte sowie Gärtnerinnen und Gärtner jedes Jahr neues Saatgut kaufen müssen. Bei Gemüsesaatgut in Deutschland handelt es sich überwiegend um Hybridsaatgut. Auch der Öko-Landbau muss darauf zurückgreifen, weil es für manche Kulturen, wie zum Beispiel Brokkoli oder Blumenkohl, kaum noch traditionelle Sorten gibt.
Auch Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner bekommen von Möhre, Tomate und Co. im Gartencenter oft nur noch Hybridsaatgut, auch F1 genannt, das sie nicht weiter vermehren können. Wer seine Lieblingstomate aus dem Samen der eigenen Ernte ziehen will, ist gut beraten, einen Bogen um Hybride zu machen, und sich nach samenfesten Sorten umzusehen.
Samenfeste Sorten
Bei samenfesten Sorten sehen die Nachkommen aus wie ihre Eltern - auch nach mehrmaligem Vermehren. Eine grüngelb gestreifte Tomate bringt aus ihren Samenkörnern im nächsten Jahr wieder eine grüngelb gestreifte Tomate hervor. Außerdem steckt in samenfesten Sorten Entwicklungspotential für die Zukunft.
Denn die Pflanzen sind – im Gegensatz zu Hybridpflanzen – nicht gleichförmig, jede hat ihre eigene genetische Ausstattung. Durch fortwährende Auslese und Vermehrung besonders wüchsiger und robuster Pflanzen lassen sich samenfeste Sorten kontinuierlich anpassen, etwa an den Klimawandel oder an neue Krankheiten und Schädlinge. Anders als Hybridsorten sind samenfeste Sorten also Mehrwegsorten und damit entwicklungsfähig.
Gentechnik
Mit gentechnischen Methoden verändern Pflanzenzüchterinnen und Pflanzenzüchter die Erbanlagen einer Pflanze: Im Labor werden Gene, also die Bausteine des Erbgutes, die bestimmte Eigenschaften bewirken, ausgetauscht, entfernt oder hinzugefügt. So erhält man Pflanzen, die etwa widerstandsfähig gegen Krankheiten oder Pflanzenschutzmittel sind.
Beispiel Sojabohne: Durch Gentechnik wurde sie unempfindlich gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Wird ein Sojafeld damit besprüht, werden alle Pflanzen außer der Sojabohne vernichtet. Das macht den Sojaanbau einfach und effizient.
Doch Gentechnik ist umstritten, unter anderem, weil die gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen noch nicht endgültig geklärt sind. In Deutschland dürfen bislang keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut werden. Dies könnte sich jedoch bald ändern. Die EU-Kommission hat im Juli 2023 ihren Vorschlag für eine Reform der Gentechnik-Gesetze vorgestellt. Danach sollen die Auflagen für Pflanzen, die mit neuen Genom Editing-Verfahren wie zum Beispiel CRISPR/Cas gezüchtet werden, deutlich gelockert werden. Mit diesen modernen Genom Editing-Verfahren können gezielte Mutation im Erbgut der Pflanzen hervorgerufen werden, was den Züchtungsprozess erleichtert und beschleunigt.
Saatgutkonzentration und die Folgen für die Vielfalt
Ob Hybridzüchtung, Gentechnik oder Genom Editing: Die Erzeugung von Saatgut liegt heute weitgehend in den Händen der Saatgutindustrie. Eine Handvoll Saatgutkonzerne beherrscht große Teile des Marktes. Sie lassen sich ihre neuen Sorten durch Patente oder Sortenschutzgesetze rechtlich schützen.
Kaufen Landwirtinnen und Landwirte Saatgut, bezahlen sie Lizenzgebühren. Die sind im Saatgutpreis enthalten und entlohnen die Leistung der Züchtungsunternehmen. Möchten sie einen Teil der Ernte wieder aussäen, fallen Nachbaugebühren an. Hybridsorten dürfen nicht nachgebaut werden. Aber sie besitzen ohnehin einen "biologischen Sortenschutz", da der Ertrag schon in der nächsten Generation einbricht und die Einheitlichkeit vollständig verloren geht.
Traditionelle samenfeste Sorten haben es schwer. Sie sind nicht so einheitlich und gleichförmig wie Hybridsorten oder solche, die mit gentechnischen Methoden erzeugt wurden, und können die Kriterien, die das Bundessortenamt fordert, um sie für den Handel zuzulassen, meist nicht erfüllen. Mit dem Schwinden der samenfesten Sorten geht jedoch Vielfalt verloren, die nicht nur schmeckt, sondern auch wichtig ist für die Ernährungssicherung in der Zukunft.
Saatgut für den eigenen Garten
Wer in seinem Garten selbst Tomaten, Paprika und Co. ernten und daraus Samen fürs nächste Jahr gewinnen möchte, kann zu samenfesten Sorten greifen. Es gibt in Deutschland eine ganze Reihe von Organisationen (siehe angehängte Liste), die sich um den Erhalt der Vielfalt kümmern und nachbaufähiges, samenfestes Saatgut anbieten oder Bezugsmöglichkeiten vermitteln. Auch Museumsgärten oder Gärtnereien sind gute Quellen für alte Sorten.
Letzte Aktualisierung: 30. September 2024
Weitere Informationen
BUND: Saatgut von samenfesten Sorten und Informationen im deutschsprachigem Raum