Alte Nutztierrassen neu entdeckt
Fleisch vom Glanrind, Milch von der Thüringer Wald Ziege – traditionelle Tierrassen sind rar geworden. Dabei bieten sie viele Qualitäten.
Tiere versorgen uns täglich mit vielerlei Nahrungsmitteln. Ob Rind, Schwein oder Huhn – Metzgereien und Supermärkte bieten ein breites Sortiment an Fleisch- und Milchprodukten. Bei dieser Angebotsfülle wird leicht vergessen, dass der größte Teil von modernen Hochleistungstieren stammt. Erzeugnisse einst verbreiteter, traditioneller Nutztierrassen – etwa vom "Schwäbisch-Hällischen Landschwein" oder von der "Thüringer Wald Ziege" – sind dagegen rar geworden.
Denn viele alte regionale Nutztierrassen sind inzwischen vom Aussterben bedroht. Doch mancherorts erinnert man sich wieder an ihre Qualitäten, und sie kehren zurück auf die Weiden und in die Ställe und die Lebensmittel von ihnen auf unsere Teller.
Mensch und Tier – eine lange Beziehung
Seit Jahrtausenden halten wir Menschen Nutztiere. Durch kontinuierliche Auslese und Vermehrung robuster Tiere mit gewünschten Eigenschaften konnte eine große Vielfalt an Rassen geschaffen werden. Stetig wurden die Tiere an die entsprechenden Bedürfnisse und die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst.
Früher hielt man Tiere nicht allein für die Ernährung. Je nach Eigenschaft wurden sie auch anderweitig eingesetzt: Rinder der Rasse "Murnau-Werdenfelser" aus Oberbayern nutzte man zum Beispiel als Zugtiere bei der Feldarbeit. Die Beweidung mit Schafen, Ziegen und Schweinen diente der Landschaftspflege. Die Lüneburger Heide wird mit "Heidschnucken", einer alten Schafrasse, bis heute erhalten.
Vom Allrounder zum Spezialisten
Eine zunehmend auf Effizienz ausgelegte Nutztierhaltung hat über die Jahrzehnte Hochleistungstiere und Einheitsrassen hervorgebracht. Tiere sind von Alleskönnern zu Spezialisten geworden. Bestes Beispiel hierfür sind Hühner. Das "Deutsche Lachshuhn", eine alte Hühnerrasse, lieferte früher Eier und Fleisch. Heute wird in der landwirtschaftlichen Hühnerhaltung zwischen Legehennen und Masthühnern unterschieden und beide sind zu effizienten Hochleistungstieren gezüchtet worden. Eine Legehenne legt heute annähernd 300 Eier pro Jahr. Masthühner bilden in kürzester Zeit viel Fleisch: Bereits nach vier bis fünf Wochen sind sie schlachtreif.
Ein Schnitzel kommt in neun von zehn Fällen von einem Schwein, das durch intensive Mast innerhalb weniger Wochen viel Fleisch gebildet hat. Ähnlich sieht es bei Rindern aus: Hielt man sie einst zur Milch- und Fleischerzeugung, gibt es heute Milch- oder Fleischrassen. Fleischrinderrassen wie "Angus" oder "Charolais" bilden rasch viel Muskelmasse, Milchviehrassen wie "Deutsche Holstein" sind dagegen auf hohe Milchleistung gezüchtet. Vor 70 Jahren erzeugte eine Kuh im Durchschnitt weniger als 2.500 Liter Milch pro Jahr, heute sind es knapp 8.500.
Doch die permanente Spitzenleistung der Tiere – ob Rind, Schwein oder Huhn – hat ihren Preis. Hochleistungskühe werden heute nach etwa fünf bis sechs Jahren ausgemustert und geschlachtet. Eine Legehenne hat nach rund 16 Monaten ausgedient. Sauen für die Ferkelerzeugung werden im Mittel drei Jahre alt.
Die Produktivitätssteigerung und Spezialisierung in der Nutztierhaltung wurden vor allem durch die Hybridzüchtung möglich. Dabei werden zunächst sogenannte Inzuchtlinien innerhalb ausgewählter Tierrassen entwickelt und diese anschließend miteinander gekreuzt. Zwar sind die Nachkommen aus diesen Kreuzungen ausgesprochen leistungsfähig, verlieren ihre Überlegenheit aber schon in der nächsten Generation. Schweinemast- oder Legehennen-Betriebe können die Jungtiere deshalb nicht aus dem eigenen Tierbestand heranziehen und züchterisch weiterentwickeln. Sie sind darauf angewiesen, Ferkel und Küken immer neu von spezialisierten Zuchtbetrieben zuzukaufen.
Der Wert traditioneller Nutztierrassen
Manche traditionelle Nutztierrasse ist schon verloren gegangen, andere geraten mehr und mehr in Vergessenheit. Denn sie können die hohen Anforderungen an Fleischertrag, Milchertrag oder Legeleistung nicht erfüllen. Entsprechend findet man auf der "Roten Liste einheimischer Nutztierrassen" zahlreiche traditionelle Tierrassen wie das "Bunte Bentheimer", eine alte Schweinerasse, oder das Waldschaf. Auch regionale Rinder-, Pferde- und Ziegenrassen sind dort vertreten.
In Deutschland liegt der Anteil gefährdeter einheimischer Nutztierrassen bei den für die Landwirtschaft bedeutenden Arten Rind, Pferd, Schwein, Schaf und Ziege bei 71 Prozent. Laut der aktuellen Gefährdungseinstufung anhand der Bestandszahlen aus 2021 sind 58 von 81 Rassen teilweise akut gefährdet. Der Welternährungsorganisation FAO zufolge sind 26 Prozent der weltweit erfassten lokalen Nutztierrassen vom Aussterben bedroht. Es darf angenommen werden, dass der Anteil noch höher liegt, denn von 67 Prozent aller Nutztierrassen ist der Risikostatus nicht einmal bekannt.
Damit geht wertvolles Erbgut unwiederbringlich verloren. Tiere alter Rassen sind oft widerstandsfähig, robust, genügsam, langlebig und von guter Konstitution. Genau das sind die Eigenschaften, die benötigt werden, um auf den Klimawandel reagieren zu können, neu aufkommenden Krankheiten zu begegnen, auf neue Herausforderungen in der Landschaftspflege oder sich verändernde Konsumentenwünsche einzugehen. Um bei Bedarf bestimmte Eigenschaften in unsere heutigen Nutztiere einkreuzen zu können, bedarf es genetischer Vielfalt. Traditionelle Nutztierrassen sind die Lebensversicherung für die Zukunft.
Spezialitäten in der Küche
Alte Nutztierrassen bieten kulinarischen Hochgenuss. Oft leben sie ganzjährig oder zumindest zeitweilig im Freien, bewegen sich viel und bekommen natürliches Futter. Dadurch sind die Tiere robuster als ihre Artgenossen in herkömmlicher Stallhaltung. Außerdem wird traditionellen Nutztieren mehr Zeit zum Wachsen und für den Fleischansatz gegeben als Hochleistungstieren. Denn auch für die Fleischerzeugung gilt: Gut Ding braucht Weile.
Das Fleisch vom "Schwäbisch-Hällischen Landschwein" etwa, einer der ältesten und traditionsreichsten Schweinerassen, schmeckt besonders aromatisch. Auch das "Bunte Bentheimer Landschwein", einst wegen seines hohen Fettanteils verschmäht, ist heute nicht nur bei Spitzenköchinnen und Spitzenköchen beliebt. Gerade die Marmorierung des Fleisches durch Fetteinsprengsel im Muskelfleisch verleiht dem zarten und saftigen Fleisch seinen einzigarten Geschmack.
Für Käseliebhaber dürfte ein Frischkäse aus der Milch der "Thüringer Wald Ziege" ein besonderer Genuss sein.
Vielfalt erhalten durch Nutzung
Auf Initiative der Gesellschaft für bedrohte Nutztierrassen (GEH) haben sich weit über einhundert Höfe zum sogenannten "Archeprojekt" zusammengeschlossen. Hier begegnet man beispielsweise dem "Angler Sattelschwein" oder lernt das "Bunte Bentheimer Schwein" kennen, das noch in den 1990er-Jahren vom Aussterben bedroht war. Vor allem Bio-Betriebe, die meist auf Vielfalt und Regionalität setzen, züchten und erhalten alte Nutztierrassen. Wer zum Schutz traditioneller Nutztierrassen beitragen möchte, fragt einfach auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen nach deren Produkten – und darf sich von der geschmacklichen Vielfalt und neuen Genusserlebnissen überraschen lassen.
Auch das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) und die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) fördern Projekte zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung einheimischer Nutztierrassen. In der BLE kümmert sich das Informations- und Koordinationszentrum für Biologische Vielfalt (IBV) um die Erhaltung der genetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft und damit auch um die Erhaltung und nachhaltige Nutzung einheimischer Nutztierrassen.
Letzte Aktualisierung: 23. Februar 2024
Weitere Informationen
GENRES – Informationssystem Genetische Ressourcen: Nutztiere
Oekolandbau.de: Gefährdete Nutztierrassen erhalten
Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH)